Übergewichtige sind nicht selbst schuld

Übergewicht oder Adipositas ist eine chronische Stoffwechsel-Erkrankung. Wer davon betroffen ist, hat nicht nur unter deren Auswirkungen zu leiden, sondern wird zusätzlich von grossen Teilen der Gesellschaft verurteilt. Dieses Denken basiert auf falschen Annahmen.

Viele Faktoren verantwortlich

Von Adipositas spricht man ab einem BMI von 30 kg/m2, ab einem BMI von 35 kg/m2 vom Schweregrad ll. Klar ist, Übergewicht entsteht durch ein kalorisches Ungleichgewicht. Das heisst, man nimmt mehr Kalorien zu sich als der Körper benötigt. «Iss doch einfach weniger», könnte man denken. So einfach ist es nicht.
 
Die Gründe für Adipositas sind vielfältig. Die genetische Veranlagung spielt genauso eine Rolle wie das Ess- und Bewegungsverhalten, die Erziehung oder psychische Faktoren. Wobei diese Bereiche sich teilweise gegenseitig beeinflussen. Nicht zu vergessen ist das Überangebot an oftmals industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln in unserer Gesellschaft. Auch Medikamente, beispielsweise Psychopharmaka, können eine Gewichtszunahme auslösen oder begünstigen.

Kalorienverbrauch im Ruhezustand

Entscheidend für das Körpergewicht ist der individuelle Grundumsatz, also die Kalorienmenge, die der Körper im Ruhezustand verbraucht. Es gibt Forschungen, die zeigen, dass dieser erblich veranlagt ist. Deshalb gibt es Menschen, die essen können ohne dabei gross zuzunehmen und andere, die trotz reduzierten Essensmengen nicht abnehmen.

Die Hormone

Das hormonelle System unseres Körpers steuert unser Essverhalten und den Fettaufbau massgeblich. Zu nennen sind hier das Fettgewebshormon Leptin, das Hungerhormon Ghrelin und Sättigungshormone wie GLP-1 oder PYY.
 
Bei adipösen Menschen werden diese Hormone weniger ausgeschüttet oder funktionieren anders als bei schlanken Menschen.

Fettgewebshormon Leptin

Jede Fettzelle in unserem Körper gibt das Hormon Leptin ab. Über den Blutkreislauf gelangt es ins Gehirn. Dieses entnimmt daraus die Information, über wieviel Fettgewebe unser Körper verfügt. Daraus schliesst es dann, wie wahrscheinlich es ist, dass wir verhungern, wenn beispielsweise die nächste Eiszeit folgt. Dieser Urinstinkt ist trotz Industriezeitalter in uns verankert.
 
Bei Übergewichtigen sind die Rezeptoren für das Leptin defekt. Das heisst, das Gehirn weiss nicht, dass so viele Fettzellen vorhanden sind, es denkt also der Körper sei schlank.

Hungerhormon Ghrelin

Das Hormon Ghrelin wird immer dann im Magen gebildet, wenn wir lange nichts gegessen haben und erzeugt Hunger. Menschen mit Adipositas verfügen über mehr Ghrelin als schlanke Menschen. Wieso dies so ist, weiss man heute nicht.

Sättigungshormone

Während des Essens bildet der Körper Hormone, welche dem Gehirn die Information «Ich bin satt» übermitteln. Sie stossen ausserdem andere gute und wichtige Prozesse an, wie beispielsweise die Insulinausschüttung oder verzögern die Entleerung von fetthaltiger Nahrung aus dem Magen in den Dünndarm.
 
Misst man dieses Hormon bei schlanken Menschen steigt es beim Essen an und das Sättigungsgefühl entsteht. Bei übergewichtigen Menschen steigt es nicht nur nicht an, es wird sogar weniger. Was nicht nur für die Essensmenge relevant ist, sondern auch für so viele Begleiterscheinungen der Adipositas wie Diabetes oder Schlafapnoe. Denn es beeinflusst auch diese Krankheiten.

Diät und Jojoeffekt

Die meisten Übergewichtigen haben unzählige Diätversuche hinter sich, die oftmals zu mehr Pfunden statt zu weniger Gewicht führen. Auch dafür sind natürlich die Hormone verantwortlich. Bei geringerer Nahrungszufuhr gerät das Gehirn unter Stress. Es denkt ja, es seien keine Reserven vorhanden (Leptin), deshalb wird mehr Hungerhormon (Ghrelin) ausgeschüttet. Das kann zu mehr Hunger als vor einer Diät führen und deshalb zum gefürchteten Jojo-Effekt.

Die Behandlung von Übergewicht

Wir bieten in unserer Adipositas-Sprechstunde eine langfristig ausgelegte Behandlung der Stoffwechselkrankheit an. Unsere erfahrene Ärztin Dr. med. Annina Büsser begleitet Übergewichtige auf Ihrem Weg zu einem schlankeren Selbst. Dabei werden auch die Begleiterkrankungen mitbehandelt. Das Ziel der Behandlung ist sowohl eine Gewichtsreduktion wie auch eine allgemeine Verbesserung des Gesundheitszustandes.
 
Weil die Ursachen für Adipositas so vielfältig sind, ist auch die Behandlung auf verschiedene Pfeiler abgestützt. Sie kann Ernährungsberatung, Psychotherapie, Physiotherapie oder eine medikamentöse Behandlung beinhalten. Auch operative Möglichkeiten wie der Magenbypass oder Schlauchmagen sind eine Option.

Abnehmspritze

Die «Abnehmspritze» wie beispielsweise Wegovy ist in aller Munde. Da das Mittel die Aussicht auf eine erfolgreiche Therapie massiv verbessern kann, setzen auch wir sie in der Behandlung ein. Die Spritze, eigentlich ist es mehr ein Pen, wie man ihn vom Insulin kennt, setzt bei den Hormonen an. Der Wirkstoff imitiert das Hormon GLP-1, was wie oben beschrieben ein früheres Sättigungsgefühl auslöst und die Entleerung des Magens verzögert.
 
Wie gesagt, ist Semaglutid, wie der Wirkstoff heisst, ein sehr potentes Mittel. Es darf daher nur unter ärztlicher Aufsicht und eingebunden in eine ganzheitliche Therapie verwendet werden. Die Idee ist nicht, dass dank eines kleinen Piks jede Woche eine bewusste Ernährung und genügend Bewegung unnötig wird.

Operationen

Die Eingriffe wie der Schlauchmagen und Magenbypass sind Hilfsmittel wie die Abnehmspritze auch. Denn natürlich führt ein verkleinerter Magen dazu, dass man schneller satt ist. Dadurch werden im Körper die ganzen beteiligten Hormonsysteme befeuert, das Richtige zu tun und die Informationen weiterzugeben, die zu einem gesunden Gewicht führen.
 
Auch hier ist eine ganzheitliche Behandlung für den Erfolg unabdingbar.

Je früher desto besser

Viele suchen unsere Sprechstunde eher später als früh auf. Denn wie gesagt ist das Thema Übergewicht und Adipositas in unserer Gesellschaft stigmatisiert und für die Betroffenen mit Scham behaftet. Melden Sie sich bei den ersten Anzeichen, dass sich Ihr Gewicht in eine sehr ungünstige Richtung entwickelt! Denn je früher Sie mit der Therapie beginnen, desto früher verringert sich Ihr Leidensweg und Sie wirken Begleiterkrankungen entgegen.

Psychische Ursachen und Sekundärerkrankungen

In diesem Beitrag wollten wir auf die Stoffwechsel-bedingten Ursachen von Adipositas eingehen und vor allem erklären, dass Betroffene nicht einfach selbst schuld sind.
 
Weitere Ursachen für Übergewicht wie beispielsweise die Psyche, Medikamente, ein erhöhter Cortisol-Spiegel oder eine Schilddrüsenerkrankung, haben wir hier nicht näher beschrieben.