Der Begriff «Placebo» umschreibt die positive Kraft, welche eine Substanz oder eine Handlung auf die Erwartungshaltung eines Patienten ausübt. Placebos haben eine enorme Bedeutung bei klinischen Studien erlangt. Neu entwickelte Medikamente werden auf ihre Wirksamkeit und Nebenwirkungen geprüft, in dem sie mit Placebos verglichen werden. Aber auch im hausärztlichen Praxisalltag kommt der Placebo-Effekt zum Zuge. Wie? Das erfahren Sie im nachfolgenden Blog.
«Placebo» kommt aus dem Lateinischen und bedeutet «ich werde gefallen». Beim Placebo-Effekt kurbelt der Körper die Selbstheilung an. Dies kann durch die Gabe von Scheinpillen oder mit Hilfe von Scheinbehandlungen geschehen. Eine vorgetäuschte Akupunktur, die bei Reizdarm hilft. Eine Infusion mit Kochsalzlösung, die Schmerzen vertreibt. Zuckerpillen, die Depressionen lindern. Ein informatives und aufbauendes Gespräch, das die Heilung nach einer Operation beschleunigen kann. Alles wissenschaftlich nachgewiesene Beispiele, bei denen der Körper positiv auf eine Behandlung reagierte, ganz ohne chemisches Einwirken. Denn die eingesetzten Tabletten, Infusionen und Worte enthalten keinerlei Arzneistoff, selbst die Akupunkturnadeln dringen nicht in die Haut ein. Wenn ein «Placebo» also keine chemisch wirksame Substanz enthält – was genau bringt dann die Heilung?
So entsteht der Placebo-Effekt
Die treibende Kraft ist die positive Erwartung des Patienten. Im Gehirn löst die Hoffnung auf Heilung eine komplexe neurobiologische Kaskade aus. Zuerst steigert der präfrontale Cortex (Teil des Frontallappens) hinter der Stirn seine Aktivität, woraufhin in einer anderen Hirnregion schmerzlindernde Endorphine (Opioide) ausgeschüttet werden. Diese wirken gleich wie Morphium. Ganz wichtig ist aber auch die Einstellung zur entsprechenden Therapie. Wenn diese von Vertrauen und Zuversicht geprägt ist, der Arzt oder Therapeut über die Vorteile der Behandlung aufklärt und den Patienten begleitet, löst nur schon das bei den meisten Menschen einen Placebo-Effekt aus. Eine Mutter beispielsweise nutzt das instinktiv, wenn sie bei ihrem Kind den Schmerz liebevoll «wegpustet».
Auf die Grösse und Farbe kommt es an
Die positive Erwartung zusätzlich beeinflussen können Farbe, Form, Grösse und Einnahmeart eines Medikamentes. Sehr kleine oder sehr grosse Tabletten ergeben beispielsweise bessere Resultate als normale Tabletten. Farbige Placebopillen sind wirksamer als weisse, wobei blaue Tabletten beruhigend, gelbe antidepressiv, grüne angstlösend und rote schmerzlindernd wirken. Eine stärkere Placebowirkung als Tabletten haben Kapseln und Zäpfchen. Die stärkste Wirkung hat eine Spritze, die vom Arzt injiziert wird, auch wenn darin nur eine Kochsalzlösung ist.
Wie steuert man Erwartungen?
Patienten können lernen Beschwerden zu beeinflussen und die Wirkung von Arzneimitteln (ob echt oder unecht) zu unterstützen. Hierfür braucht es Beobachtung, Information und Vorerfahrung. Wer zum Beispiel sieht, dass eine Therapie bei anderen Patienten anschlägt, geht davon aus, dass sie bei ihm oder ihr ebenfalls wirkt (Beobachtung). Positive und vertrauensvolle Arzt-Patienten-Gespräche im Vorfeld, während und nach einer Therapie unterstützen den erhofften Heilungserfolg ebenfalls (Information). Hat die Tablette oder der Sirup in der Vergangenheit immer zuverlässig gewirkt, reicht oft schon der alleinige Anblick und die damit verbundene Aussicht auf baldige Linderung. Das Gehirn erhält durch die vertraute Form oder Farbe des Präparates das Signal «gleich wird es besser» und die schmerzstillenden Endorphine werden ausgeschüttet, ganz ohne, dass man das Medikament einnimmt (Vorerfahrung).
Grenzen bei der Anwendung
Wo es bereits wirksame Therapien gibt oder wenn es gar nicht möglich ist, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, helfen Placebos allein nicht. Dies ist zum Beispiel bei einem Beinbruch, bei Tumoren oder schwersten Infektionen der Fall. Sie können aber unterstützend eingesetzt werden und bewirken, dass ein Patient nach einer Operation weniger Schmerzen hat oder Nebenwirkungen einer Chemotherapie milder ausfallen.
Ethisches Dilemma
In der Forschung kennt man mittlerweile viele körperliche Systeme, die sehr gut auf Placebos ansprechen, wie etwa das Hormon-, Bewegungs- und Verdauungssystem. Placebos zu verabreichen, ist jedoch ethisch und rechtlich oftmals nicht unbedenklich. Ärzte und Ärztinnen stehen nämlich in der Aufklärungspflicht ihren Patienten und Patientinnen gegenüber. Das heisst, wenn der Arzt oder die Ärztin nicht aufklärt und Patienten einer Behandlung nicht zustimmen, so haftet die behandelnde Person für allfällig entstandene Schäden. Jede medizinische Behandlung kommt einem Eingriff in die Persönlichkeit gleich. Aus diesem Grund sind Placebo-Behandlungen nur mit urteilsfähigen Personen möglich. Verdeckt ein Placebo zu geben, geht also nicht. Es ist aber durchaus möglich, ein Scheinmedikament zu verschreiben, ohne den unter Umständen negativ behafteten Begriff «Placebo» zu nennen und somit das Risiko einzugehen, dass die erwünschte Wirkung deshalb ausbleibt.
Die Gesundheit steht an oberster Stelle
Die goldene Regel für jeden Arzt und jede Ärztin ist: eine Behandlung mit Placebos darf weder die Gesundheit der Patienten noch deren Vertrauen in die Medizin oder den behandelnden Arzt gefährden! Krankheiten können also mit einem Placebo nicht geheilt werden, aber durch ärztliches Verhalten sowie eine ausführliche Information und vertrauensvolle Betreuung ist es möglich, die Selbstheilkraft zu mobilisieren oder die Heilkraft eines wahren Medikamentes wie auch einer echten medizinischen Behandlung zu verstärken.
Wir in der Praxis am Bahnhof legen sehr grossen Wert auf eine offene und vertrauensvolle Patientenbeziehung.